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AutorenbildLukas Kellner

Tale | Trapper Serie: Rewrite

Es ist für viele das Schreckgespenst beim Schreiben eines Buches, Drehbuches oder Textes. Das verbotene Wort, der zähflüssige Zeitfresser, das nervige null Bock Martyrium … Der Rewrite. Als Segen und Fluch zugleich verkörpert der Rewrite den wohl wichtigste Schritt im kreativen Schreibprozess und kann einen gigantischen Unterschied ausmachen. Hier findest du ein paar wertvolle Praxis-Tipps, die dir dabei helfen, diese Phase besser zu überstehen.


Eine Autorin sitzt an einem unordentlichem Schreibtisch, umgeben von Zetteln, Büchern und Verhau

Vielleicht kennst du es auch: Während man beim Tippen noch dachte, dass die Worte ein wahres Meisterwerk ergeben, dass der Plot an Spannung und Genie kaum zu übertreffen ist und diese Arbeit neben Tolkien, Hemingway und all den anderen als eine der ganz großen in die Geschichte eingehen wird, schlägt einem der Rewrite häufig mit gehörigem Anlauf direkt ins Gemächt. Tatsächlich hatte ich Momente beim Lesen meiner First Drafts, in denen sich bei mir körperliche Schmerzen eingestellt haben, weil ich geradezu entsetzt davon war, wie sehr Wahrnehmung beim Schreiben und die Realität im Rewrite auseinander liegen können.


Deswegen das Wichtigste gleich vorweg: Es ist vollkommen normal, wenn du deinen Text bearbeitest und dich beim Lesen fragst, ob dir beim Schreiben dieser Seiten jemand mit einer körpergroßen Keule fortwährend gegen den Schädel geschlagen hat. Der berühmte First Draft ist bei den meisten Schrott (es gibt zwar auch Ausnahmen, aber dass du zu denen gehörst, ist sehr unwahrscheinlich. Falls doch: Herzlichen Glückwunsch … ich bin definitiv neidisch!). Verzweifle deswegen nicht zu früh, manchmal ist es wirklich faszinierend, was aus einem Haufen Scheibenkleister werden kann, wenn man nur lange genug daran schleift. Damit du weißt, wo du anfangen kannst und nicht dieselben Fehler machen musst wie ich am Anfang, hier ein paar leicht umsetzbare Praxis-Tipps:


Zeit

Es dauert einfach. Eine ziemliche frustrierende Tatsache, vor allem, wenn man ständig von Schnellschreibern und Überfliegern hört, die gefühlt zwei Bücher pro Woche rausscheißen, von denen Stephen King nur das berühmteste Beispiel ist. Jedoch solltest du diesen Gedanken akzeptieren und dich daran gewöhnen. Ein Aspekt davon ist auch, dass du nach dem Schreiben nicht sofort in den Rewrite startest (zumindest, wenn es um längere Texte wie Bücher oder Drehbücher geht). Die Verführung ist zu diesem Zeitpunkt meist am größten; man möchte sich unbedingt direkt wieder in die Seiten schmeißen und lesen, was man so über die letzten Wochen, Monate oder sogar Jahre fabriziert hat. Umgehend mit der Korrektur zu beginnen ist aber zu diesem Zeitpunkt meist ein Fehler. Man ist einfach noch zu nah dran am Stoff, man erinnert sich zu genau an die Szenen, an den Plot und an die Ereignisse. Das Wichtigste im Rewrite ist aber Objektivität – du musst dir selbst und deiner Arbeit gegenüber gnadenlos sein. Deswegen mein Tipp: lass das Manuskript eine Weile liegen. Am besten so lange, bis der Drang in dir, es zu öffnen und los zu starten, verschwunden ist. Manchmal dauert das nur ein, zwei Wochen, manchmal länger und manchmal hast du gar nicht den Luxus, mit der Überarbeitung zu warten. Aber wenn die Möglichkeit besteht, dann warte – lieber etwas zu lang als zu kurz.


Bullshit-Methode

Du wirst es viele Male lesen müssen, glaub mir. Bei meinem letzten Roman „Die 7“ waren es – ironischerweise – sieben Durchgänge, in denen ich den gesamten Schinken, die ganzen knapp 700 Seiten, durchgegangen bin. Gerade deswegen macht es Sinn, wenn du die Lese-Schleifen in thematische Korrekturzonen untergliederst. Ich persönlich nutze die Bullshit-Methode, kurz BS-Methode. Dabei steht B für Big und S für Small und es geht darum, dass du mit dem Groben beginnst und erst dann an den Details arbeitest.

Beim ersten Mal Lesen konzentrierst du dich nur auf die Korrektur des Plots. Natürlich wirst du auch dabei schon hier und dort an Formulierungs-Fiaskos rumbasteln, aber primär solltest du dich auf den Plot konzentrieren. Mach dir dabei Notizen. Schreibe auf, welche Informationen du an welcher Stelle den Lesern offenbarst und wie die Entwicklung der Heldenfigur dadurch vorangetrieben wird. Manchmal fällt dir jetzt erst auf, dass du gewisse Dinge später stattfinden lassen solltest oder es mehr Sinn macht, Entwicklungsschritte weiter hinauszuzögern. Halte immer auch nach Logik-Fehlern und Logik-Lücken Ausschau. Denn während viele Dinge für dich als Autor absolut eindeutig sind, weil du sie dir ja ausgedacht hast, kann es sein, dass sie für den 0815 Leser alles andere als nachvollziehbar sind.

Erst wenn du mit der Struktur zufrieden bist, das Grobe also durch ist, kannst du dich auf die Feinheiten einlassen. Dazu gehört natürlich Rechtschreibung und Grammatik, vor allem aber auch Rhythmus, Beschreibungen und Dialoge.


Kein Platz für Emotionen

Ich habe es oben zwar schon einmal erwähnt, trotzdem kann man es nicht oft genug betonen: Der Rewrite ist nichts für Weicheier! Du wirst von dir enttäuscht sein, du wirst dich fragen, warum du dir den ganzen Mist überhaupt antust und du wirst an deinen Fähigkeiten zweifeln. Und wie das nun mal so ist, wird die Stimme in deinem Kopf versuchen, dich dieser unangenehmen Situation zu entziehen. Und ich rede nicht einmal von der Versuchung, das Manuskript beiseite zu legen und aufzugeben (was du auf gar keinen Fall tun solltest, vor allem, wenn es eines deiner ersten Texte ist). Ich rede von der Angst davor, Dinge komplett über den Haufen zu schmeißen. Davon, nicht an dem Geschriebenen zu hängen oder es gar persönlich zu nehmen, dass der First Draft Müll geworden ist. Meiner Erfahrung nach, behindert mich das am meisten: Dass ich davor zurückschrecke, ganze Passagen einfach zu löschen und umzuschreiben. Um diese Furcht zu minimieren, mache ich es meistens so, dass ich ein separates Dokument öffne und die betroffenen Seiten dort hineinkopiere. Dann formuliere ich den Text neu. Falls diese Version dann doch nicht besser geworden ist, kann ich immer noch den alten Teil zurück kopieren – nur, dass das bis jetzt kein einziges Mal vorgekommen ist.

Letztendlich musst du ein Gefühl für dich und deinen Kopf entwickeln, um irgendwann mit Leichtigkeit feststellen zu können, ob du dich beim Löschen oder Umschreiben einer Passage sträubst, weil sie etwas Wichtiges und Wertvolles enthält oder ob du gerade nur zu faul oder zu stolz bist, dich an die Arbeit zu machen. Klingt hart, ist aber so, ich weiß es aus erster Hand, ich bin Meister im Ausreden erdenken…


Jedes Kapitel zwei Mal

Meistens lese ich den geschriebenen Text beim ersten Mal in einem Rutsch durch. Spätestens bei den sich anschließenden Korrekturschleifen unterteile ich dann aber immer in Abschnitte – entweder es sind ohnehin schon Kapitel vorhanden oder ich wähle Intervalle (z.B. alle 10 Seiten). Ich korrigiere dann nicht das gesamte Buch von vorne bis hinten durch, sondern hangele mich von Abschnitt zu Abschnitt vor und lese jeden Abschnitt zweimal direkt hintereinander.

Das hat zwei Vorteile. Zum einen bin ich dann wirklich „drin“ und mir entwischen weniger Fehler – bei einem Schussel wie mir ist das ziemlich nützlich. Vor allem aber nutze ich das zweite Mal Lesen als objektive Bewertungsinstanz. Manchmal fällt mir eine Textstelle auf, die mir auf Anhieb nicht so recht gefallen will. Ich halte an, überfliege sie nochmal und dabei finde ich sie dann doch wieder ganz in Ordnung. Das ist ein schwieriger Moment, weil Emotionen ins Spiel kommen. Die Stimme in meinem Kopf sagt: „Ach lass das mal lieber, das ist schon gut so, wie du es gemacht hast.“

Wenn ich aber auch beim zweiten Mal Lesen des gesamten Abschnitts über die Stelle stolpere, weiß ich mit Sicherheit, dass etwas damit nicht stimmt und ich umformulieren muss, ganz egal, was dieser Trottel in meinem Hirn da faselt.


Ein junger Mann mit langen zerzausten Haaren, sitzt an einem unordentlichen Schreibtisch und starrt mitgenommen in die Kamera

Gedruckter Text

Das ist eine sehr individuelle Sache, deswegen vielleicht nichts für dich. Aber bei mir ist es so – und ich habe keine Ahnung warum –, dass mir gewisse Dinge erst auffallen, wenn ich den Text in gedruckter Form lese. Es handelt sich dabei vor allem um Probleme beim Rhythmus und bis zu einem gewissen Grad auch um Wortdopplungen. Aus irgendeinem Grund erkenne ich am Computer nur ca. 50-80% dieser Probleme. Mir hilft es dann massiv, wenn ich im Rahmen eines Probedrucks einmal die physische Version korrigieren kann.


Lektorat und Korrektorat

Vier Augen sehen mehr als zwei  … und kosten gut zehnmal so viel. Wohl eher mehr. Ein professionelles Lektorat ist schon was feines, aber seien wir ehrlich, die wenigstens von uns werden in den Genuss davon kommen. Trotzdem können wir versuchen, mit gewissen kostengünstigen Tricks unsere Texte auf das nächste Level zu bringen. Eine Chance sind dabei neue digitale Tools, die sich z.B. auf KI und Large Language Models stützen. In der deutschen Sprache ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags aus meiner Sicht der Schreibassistent von Language Tool die beste Option für die deutsche Sprache. Internetseite wie deepkomma.de besuche ich regelmäßig. Natürlich kannst du auch ChatGPT zu Rate ziehen, lass dir dabei nur auf jeden Fall immer die Änderungen anzeigen, so dass du die volle Kontrolle über deinen Text behältst.

Ich nutze dann immer auch Testleser. An dieser Stelle solltest du schon so weit mit der Geschichte sein, dass du daran keinen Makel mehr erkennen kannst. Zumindest solltest du alles verändert haben, was dich beim Durchlesen gestört hat und nur noch Stellen übrig lassen, bei denen du dir bezüglich ihrer Wirkung einfach nicht sicher bist. Testleser bekommst du zum Beispiel im Rahmen einer Leserunde auf lovelybooks, wobei ich das nicht wirklich empfehlen kann (warum, erkläre ich vielleicht einmal bei einem anderen Beitrag). Stattdessen würde ich mir einfach Leute aus deinem Umfeld suchen, die du dazu verdonnern kannst, das Manuskript zu lesen. Mach ihnen klar, dass sie kritisch sein sollen und kein Blatt vor den Mund nehmen dürfen. Sie sollten wissen, dass es sich um ein Work-in-Progress handelt und sie dir nur dann helfen, wenn sie ehrlich zu dir sind. Auf diese Weise kriegst du manchmal doch recht gnadenloses, aber dafür umso wertvolleres Feedback.


Ein Rewrite ist und bleibt eine zähe Angelegenheit, bei der du Disziplin und Durchhaltevermögen beweisen musst. Diese Tipps können dir aber dabei helfen, das Erlebnis etwas angenehmer zu gestalten. Denn am Ende ist es genau das: ein Erlebnis. Dass du in diese Situation hineingeraten bist, liegt nur daran, dass du eine Erfahrung hinter dir hast, die nicht viele Menschen machen werden. Du hast einen Text geschrieben und damit etwas neues Erschaffen! Sei stolz darauf – nicht auf das Ergebnis, sondern auf das Tun an sich.



Wort Legende:


  • Rewrite: Überarbeitung eines Textes

  • First Draft: Erste (unbearbeitete) Version eines Textes

  • Large Language Models: KI basierte Programme, die dazu in der Lage sind, menschliche Sprache zu verstehen und damit zu interagieren

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