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Tale | Trapper Serie: Brainstorming

Kreativität ist ein berühmtes Buzzword, das durch die Flure der Business-Büros weht und dabei eine fast schon abenteuerliche Aura hinterlässt. Es wird dargestellt als diese besondere Eigenschaft, das gewisse Etwas, eine quasi nicht zu erlernende, sich in Rätseln ausdrückende und für normalsterbliche beinahe unerreichbare Fähigkeit. Dieser Eindruck könnte falscher nicht sein. Es handelt sich nur um einen stinknormalen Prozess, den jeder – wirklich jeder – lernen kann. Und alles beginnt mit einem Brainstorming.


Junge Frau, umgeben von einem chaotischen Sturm aus Fischen und Gegenständen, als Symbol für Kreativität

Es schockiert mich immer wieder, wie wenige auch in meiner Branche wissen, worauf es bei einem Brainstorming ankommt. Das ist vor allem anstrengend, wenn es um Brainstormings in Gruppen geht, weil es den Prozess an sich stark behindert. Es ist wie mit einem Neuling, der in ein gut eingespieltes Team hineingeschmissen wird und anfänglich permanent im Weg steht. Das Gute daran ist aber: die Regeln eines Brainstormings sind überhaupt nicht kompliziert, geradezu lächerlich simpel, nur sie einzuhalten fällt gerade am Anfang etwas schwer.

Am besten kann man es mit der Arbeitsweise von Disney zur Anfangszeit des Unternehmens vergleichen. Zumindest ist das die Geschichte, die ich dazu einmal gehört habe. Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, ist die Sache wahrscheinlich frei erfunden. Andererseits auch egal, die Methode funktioniert. Also zurück zu Disney!


Damals, so die Erzählung, habe das Headquarter von Disney drei distinktive Stockwerke gehabt, von denen jedes Stockwerk einen ganz eigenwilligen Menschenschlag beherbergte. Oben arbeiteten die Quatschköpfe, die Freigeister, die Fantasiefanatiker und Fans von frei erfundenen Gespinsten. Eine Etage tiefer befanden sich die Macher, die Bastler, die Generalisten, kurzum Menschen, die nicht hinterfragten, sondern Freude daran fanden Pläne in die Realität umzusetzen, ganz gleich wie absurd oder schräg diese auch sein mochten. Ganz unten dann kamen die knallharten Manager – das waren Zahlenmenschen, Leute, die immer eine griesgrämige Fratze zogen und dabei dreinschauten wie sieben Tage Regenwetter. Unnötig zu erwähnen, dass sich die drei Etagen untereinander überhaupt nicht leiden konnten. Aber das mussten sie auch gar nicht: im Arbeitsalltag hatten sie rein gar nichts miteinander zu tun und kamen so gut wie nie in direkten Kontakt zueinander. Der Schöpfungsprozess einer neuen Produktion nahm immer den gleichen Weg. Die Quatschköpfe oben erarbeiteten eine Vielzahl an Ideen, von denen die meisten an Absurdität und Albernheit nur so strotzten. Die gaben sie eine Etage weiter, wo die Macher versuchten, erste Skizzen dazu anzufertigen und den Fantasien der Träumer ein Gewand zu verleihen. Diese Entwürfe gingen dann nach unten. Und alles, was die Zahlenmenschen taten, war die vielen Ideen vor sich aufzureihen und eine nach der anderen in die Tonne zu kicken. Alles, was nicht gut genug war, nicht ins Bild passte oder einen anderen Mangel aufwies, wurde zurückgewiesen. Auf diese Weise blieben nur die besten Ansätze bestehen, die später das Fundament für einen der größten Medienkonzerne bildeten, den es heute gibt.


Genauso ist es mit einem Brainstorming. Wir müssen – MÜSSEN – den Prozess der Ideenschaffung in mehrere Stufen unterteilen. Am wichtigsten ist dabei, dass wir ganz am Anfang, wenn wir vor einem leeren Blattpapier sitzen, die Jungs und Mädels aus der untersten Abteilung nicht dabei sein lassen. Konkret bedeutet das: keine Kritik. Weil es so wichtig ist, nochmal: KEINE KRITIK!

„Genau, weil alle Ideen toll sind“, höre ich schon manche mit Marijuhana geschwängertem Atem schreien. Nein. Einfach nein. Die meisten Ideen sind absoluter Müll. Ich rede von nahezu 100-prozentigem Schrott. Das ist die Wahrheit: die meisten Ideen sind grottenschlecht, aber zumindest während des Brainstormings sind tatsächlich alle Ideen wertvoll. Du kannst es dir wie mit einer Welle vorstellen. Wenn du versuchst, die Woge zu unterdrücken, bleibt die Oberfläche deines inneren Sees vollkommen ruhig und langweilig. Wenn du aber aufhörst zu bewerten und jede Welle zu ihrer vollen Entfaltung wachsen lässt, wird sie eine weitere Welle anstoßen und die dann noch eine und noch eine und noch eine. Ehe du’s dich versiehst, hast du einen Sturm, ja einen ganzen Orkan, aus dem du vielleicht am Schluss die eine oder andere wirklich kreative Idee herauspicken kannst. Beim Improvisationstheater nennt man das „Yes, and“ – das ist so ziemlich die einzige Regel die in dieser spannenden Kunst existiert: ein Nein ist nicht erlaubt, immer nur ein Ja.


Das ist das wichtigste Konzept, dass wir verstehen müssen, wenn wir versuchen wollen, kreativen Output zu produzieren. Die anderen Schritte sind im Vergleich dazu etwas leichter, jedoch nicht weniger Arbeitsintensiv. Um dir eine kleine Hilfe an die Hand zu geben, habe ich dir hier eine kleine Step by Step Liste zusammengestellt:


Das Was – dein Ziel verstehen

Die Sache wird einem im Studium fortwährend eingeprügelt. Während ich es persönlich nicht ganz so streng damit halte, ist es vor allem für Anfänger ein nützlicher Tipp. Bevor es mit dem Brainstorming losgeht, solltest du dein Ziel klar definiert und vor allem verstanden haben. Anders ausgedrückt: wenn alles exakt nach Plan läuft und du die bestmögliche Idee aus dem Brainstorming extrahieren kannst, wie sähe diese aus oder besser: was kann sie? Mit dieser Leitfrage stellst du sicher, dass du verstanden hast, was du überhaupt erreichen möchtest. Dazu gehört auch, für wen du es erreichen möchtest. Die Definition einer Zielgruppe ist ein eigenes Thema für sich. Es gibt zig Tools dazu (z.B. Personas, Limbic Map, Value Proposition Canvas uvm.), doch am Ende geht es immer nur darum, zu verstehen, für wen man sich die ganzen Strapazen überhaupt antut. Erst, wenn du ein klares Bild davon hast, für wen du eine Idee bzw. Lösung entwickeln willst und was dieser Output im optimalen Fall erreicht, kannst du in ein Brainstorming starten.


Keine Kritik

Jetzt kommt das eigentliche Brainstorming an sich. Du brauchst dazu eine Möglichkeit, mit der du jeden Gedanken – jede Idee – sofort festhalten kannst. Das ist essenziell! Das Ding muss raus aus deinem Kopf und direkt rein in ein Dokument, auf Papier, Papyrus oder Stein, vollkommen egal, hauptsache du musst dich damit nicht mehr aufhalten. Ich arbeite beim Brainstorming am liebsten analog und nutze eine Mind Map. Das ist aber ein persönliches Fable. Wie du es machst spielt keine Rolle.


Eine Mindmap

Du setzt dich also hin und lässt die Gedanken einfach so plätschern. Wichtig dabei ist – ich wiederhole mich – KEINE KRITIK. Wenn du an Bananen denkst, schreibst du Bananen hin, wenn du an einen roten Schwamm in Form einer Nase denkst, wie ich gerade, schreibst du auch das hin. Du bewertest nicht, sprich mir nach: Ich bewerte nicht, wir bewerten nicht, keine Wertung, keine Kritik… Denn die kommt noch früh genug!

Um Struktur in deinen Kopf zu bringen, kannst du Leitfragen benutzen. Ich beginne eigentlich immer mit der Frage: „Was wäre, wenn…“

Was wäre, wenn die Hauptfigur ein Bauer wäre?

Was wäre, wenn das Produkt X in drei Varianten auf den Markt kommt?

Was wäre, wenn der Slogan nur aus einem Ton besteht?

usw.

Wenn dir partout keine neuen Ideen kommen, versuche das Gegenteil von den bisherigen Ideen aufzuschreiben:

Was wäre das absolute Gegenteil von einem Bauern? Ein Investment Bänker? Ein Chemielaborator? Oh, was wenn ein Investment Banker und ein Bauer für eine Weile zusammenarbeiten müssen?

usw.

Versuche dir die Ideen bildlich vorzustellen und schreibe Details davon ebenfalls in deine Mind Map oder Liste:

Es wäre cool, wenn der Bauer noch einer von denen ist, die auf so einem Strohhalm rumkauen. Der Investment Banker raucht vielleicht? Man kann den Ton Slogan vielleicht sogar mit Schrift darstellen?

usw.

Schließlich kannst du einen Trick anwenden, falls du an einem Tag mal so gar keine Ideen hinbekommst und immer noch vor einem weißen Blatt Papier sitzt, versuche es mit Absicht falsch zu machen. Suche nach einer Idee, die mit Sicherheit falsch bzw. schlecht ist und schreibe sie hin. Dann such noch eine die absolut keinen Sinn ergibt. Und noch eine und noch eine. Auf diese Weise wirst du erstens in einen Ideenfluss hineingeraten und zweitens sind diese extremen Falsch-Beispiel manchmal sogar genau die Ideen, nach denen du suchst. Nein, wirklich, das passiert öfter als du denkst!

Kritik – keine Gnade!

Erinnerst du dich an das Gebäude von Disney? Wenn die Quatschköpfe fertig sind, kommen die Umsetzer an die Reihe. In meiner Praxis läuft das ein bisschen anders ab. Das hat vor allem damit zu tun, dass mir in der Regel nicht so viel Zeit zur Verfügung steht, jede Idee bis zu einem gewissen Grad umzusetzen. Deswegen lasse ich eine Kritik-Schleife direkt nach dem eigentlichen Brainstorming erfolgen. Danach heißt aber nicht dabei! Du musst Produktion und Kritik voneinander trennen und das um jeden Preis, sowohl gedanklich als auch zeitlich als auch räumlich! Na gut, räumlich muss nicht sein, wobei das am Anfang tatsächlich helfen kann.

Während der Kritik-Phase darfst du dich gerne in ein Arschloch verwandeln. Das gelingt manchen besser und manchen weniger gut, doch es ist und bleibt ein essenzieller Schritt im kreativen Prozess. Denn wie oben bereits erwähnt, sind die meisten Ideen Schrott! Es liegt an dir, diese Ideen auszusieben. Nimm einen Stift und kritisiere bei jedem Gedanken, den du aufgeschrieben hast, so viel du kannst. Das heißt auch, dass du Begründungen brauchst:

Das passt nicht zur Zielgruppe.

Das hier bietet wenig Potenzial.

Das ist nett, aber nicht umsetzbar.

usw.

Auf diese Weise bleiben nur diejenigen Ideen übrig, die es Wert sind, etwas mehr Arbeit hinein zu investieren. Oder vielleicht bleibt auch gar nichts übrig. Dann heißt es Back to the Drawing Board und Brainstorming all over again.


Umsetzung

Dieser Schritt ist optional und hängt davon ab, für was du Ideen produziert hast. Bei Ideen für eine Geschichte, hätte ich jetzt wahrscheinlich schon eine Auswahl getroffen und würde neue Brainstormings für das Thema und Bestandteile der Geschichte machen. Aber zum Beispiel im Design- und Medienproduktionsbereich ist das Umsetzen mit Prototypen eine recht gute Idee. Mach dir grobe Skizzen, bau dir Dummies (z.B. für Apps mit der App Marvel) und bastele ein wenig. Während dieser Arbeit fallen dir meistens Kritikpunkte auf, die du davor übersehen hast, oder bislang unentdeckte Potenziale, die es auszuschöpfen gilt.


Kritik – Gnadenlos returns

Hast du einen oder mehrere Prototypen umgesetzt, geht es wieder in die gnadenlose Kritik-Schleife. Aber auch hier ist wichtig: Trenne immer Produktion und Kritik voneinander. Immer! Die zwei gehen nicht zusammen. Sie brauchen sich, ganz ohne Frage, aber sie sollten sich auf keinen Fall vermischen. Je erfahrener du wirst, umso näher kannst du die Phasen jedoch aneinander stellen. Es gibt Profis, bei denen sieht es so aus, als wären Kritik und Produktion ein- und dasselbe. Tatsächlich haben sie es aber geschafft, diese zwei „Areale“ in ihrem Bewusstsein so diszipliniert zu trennen, dass sie diese strikte Separation in der Zeit-Dimension nicht mehr einhalten müssen. Bis man so weit ist, dauert es aber…


Zum Schluss noch ein kurzer Kommentar zu Brainstormings in Gruppen bzw. Teams: Prinzipiell kommen immer bessere Ideen zustande, wenn sich mehrere verschiedene Köpfe zusammentun. Das funktioniert jedoch nur, wenn jeder einzelne im Team den oben beschriebenen Prozess versteht. Und die meisten tun das nicht. Wie bereits erwähnt, ist es tief in uns verwurzelt, Ideen sofort zu kritisieren. Deswegen braucht es eigentlich immer einen Moderator. Als Moderator hast du die Aufgabe, das Brainstorming anzuleiten und einzuschreiten, wenn es sich in eine Kritikschleife wandelt oder ins Stocken gerät. Erinnere sanft daran, dass es jetzt nur um Ideen geht und dass für den Moment jede Form – wirklich jede Form – von Kritik oder negativer Bewertung verboten ist. Gerade bei einer unerfahrenen Gruppe wirst du mehrmals darauf hinweisen müssen. Achte auch dabei auf eine humorvolle und spielerische Atmosphäre. Wenn die Dinge ins Stocken geraten, werfe die beschriebenen Leitfragen in die Runde. Stelle konkrete „Was wäre, wenn…“-Fragen, lass sie über das Gegenteil nachdenken oder gib ihnen die Erlaubnis, Dinge rauszuhauen, die absolut keinen Sinn ergeben. Na dann… Guten Sturm!

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