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AutorenbildLukas Kellner

Warum ich mit Lesen nicht viel anfangen konnte...



Ich bin nicht mit vielen Bücher aufgewachsen – ziemlich seltsame Voraussetzung für einen Autor und durchaus selten. Wenn ich auf andere Schriftsteller treffe, können die mir meistens tolle Geschichten aus ihrer Kindheit erzählen, als Bücher ihre Lebensretter waren, als Oma ihnen kunstvoll gebundene Exemplare schenkte oder der gutherzige Nachbar ihnen ganz euphorisch vorlas. Sie schildern, wie sich damals das Papier anfühlte, wie sehr sie in den niedergeschriebenen Geschichten versinken konnten, dass die Bücher für sie einen Zufluchtsort symbolisierten, ihre größte Freude waren und überhaupt ein wunderschönes Stück des Wohlgefühls.


Nicht so bei mir… Bücher erschienen mir uninteressant, das höchste der Gefühle waren Comics und später dann auch Mangas. Die einzigen Bücher, die ich wirklich gern gelesen habe, waren die von J.K. Rowling – Harry Potter, der Klassiker – und davor noch Kommissar Kugelblitz. Oh, und die Bibel! Ja wirklich, kein Scheiß…

Jeder der mich kennt, wird spätestens jetzt gar nichts mehr verstehen, denn ich bin alles andere als gottesfürchtig, genau genommen bin ich aus der Kirche ausgetreten und Atheist. Aber damals haben mich die Geschichten meiner illustrierten Kinder-Bibel vollkommen in ihren Bann gezogen, hauptsächlich, weil darin auch historisches Wissen zu der Lebensweise der Menschen in diesem Zeitalter abgedruckt wurde und ich mich für solche Dinge schon immer sehr interessierte. Trotzdem, viel mehr gab es für mich nicht… Lucky Luke und Donald Duck, Naruto und Itachi, viele Bilder wenig Worte, das war mir am liebsten!

Die Schule zwang mich dann natürlich, mir auch die richtigen Klopper reinzuziehen, obwohl ich zugeben muss, dass ich die wenigsten Bücher des Lehrplans auch wirklich gelesen habe. Ich konnte irgendwie schon immer gut den Anschein erwecken, ich wüsste ganz genau Bescheid, selbst dann, wenn mir die Lehrer Fragen über Kapitel stellten, die ich definitiv noch nie gesehen hatte. In Erinnerung geblieben sind mir Faust, Der Sandmann, Der Schimmelreiter, Der Träumer (der war damals ganz okay, hauptsächlich ob seiner Kürze), Mary Stuart (für mich damals besonders schrecklich), Sansibar oder der letzte Grund und Kafkas Die Verwandlung.


Aber wenn dem so ist, wenn ich selbst dem Bild des eingefleischten Hardcore-Bücherfreaks nicht entspreche und darüber hinaus sehr gut nachvollziehen kann, wenn Menschen mit dem Lesen nicht viel anfangen können, wie komme ich dann darauf, ein Plädoyer für das Buch zu halten und das auch noch in Zeiten, in denen man Geschichten auf jede erdenkliche Weise von zu Hause aus konsumieren kann? Nun… weil das Buch meiner Meinung nach das aktuell einzigartigste und am meisten hervorstechende Medium ist!

„So ein Quatsch, ein Film erzählt die Geschichte von Liebe, Trauer, Leid und Leidenschaft genauso gut wie die klobigen, alt verstaubten Bücherschinken; außerdem gibt es ja auch Hörbücher und Podcasts, Live-Streams und Instagram, Twitter, Twitch und Tik Tok. Warum zur Hölle sollte unter all diesen Optionen das Buch einzigartig sein?“


Weil es das einzige Medium ist, dass deine volle Aufmerksamkeit erzwingt! Weil man beim Lesen eines Buches in der Regel nichts anderes tun kann als Zeile um Zeile in eine fremde Welt einzutauchen. Parallel neue Posts auf Instagram ansehen, einen Zeitungsartikel überfliegen, ein hübsches Kleid auf Asos shoppen, Kommentare verfassen, Nachrichten verschicken, all das geht nicht, während man in der Geschichte eines Buches versinkt, wohl aber, während man sich einen Film ansieht, Podcasts anhört oder einen Twitch-Stream verfolgt. Natürlich kann man beim Lesen kurz pausieren, etwas ins Handy tippen und dann weitermachen, aber das Medium Buch und andere Medien aktiv gleichzeitig nutzen, das geht nicht.

Immerhin ist es schon schwer genug, die Gedanken bei der Handlung zu behalten und sich nicht zwischen den Zeilen aus Versehen davontreiben zu lassen. Bei mir kommt es gut und gerne vor, dass ich einen Absatz noch einmal neu beginnen muss, ganz einfach, weil ich keine Ahnung mehr habe, was überhaupt darin geschrieben stand.


Apropos: erinnert dich diese Praktik nicht an irgendetwas? Nur in eine Richtung zu denken und dabei alle geistigen Prozesse auf ein Objekt, auf ein Motiv zu lenken, sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, die ständige Stimme im Kopf für einige Augenblicke aktiv komplett verstummen zu lassen? Richtig, es handelt sich dabei um nichts geringeres als Meditation.

Denn Meditation existiert in vielen verschiedenen Formen und setzt nicht zwingend den Schneidersitz oder die erleuchteten Worte eines Yogis voraus. Man findet dieses jahrhundertealte Ritual in unzähligen Formen wieder, zum Beispiel als Rosenkranz in der Kirche, als besonders anspruchsvolle Übung im Fitnessstudio, als das Zeichnen eines Mandalas und, und, und.

Meditieren kann tatsächlich einen größeren Erholungseffekt haben als eine Urlaubsreise, hilft bei Übergewicht und unterstütz deine körperliche Gesundheit; das zumindest ergaben Studien aus den USA und den Niederlanden. Selbst wenn du diesen Ergebnissen eher skeptisch gegenüberstehest, so ist das Gedruckte doch immer noch eine willkommene Abwechslung zur Dauerlichtbestrahlung des Computerbildschirms oder der ständig drohenden Gefahr, durch eine Pop-Up Nachricht auf dem Handydisplay äußerst unsanft aus deiner Freizeit-Idylle herausgerissen zu werden, weil der Chef mal wieder etwas braucht.


Der vielleicht größte Nachteil des Buches liegt in seiner größten Stärke. Dadurch, dass man seine Gedanken auf die Worte konzentrieren muss – und zwar aktiv, nicht so sehr passiv wie zum Beispiel bei visuellen Medien, die einen eher berieseln – kann es einem am Anfang durchaus schwerfallen, bei der Sache zu bleiben und Dinge, die schwerfallen, gibt es im Alltag ja eigentlich schon längst genug, da braucht man sich nicht auch noch in der Muße quälen… absolut verständlich!

Aber an dieser Stelle kommt sie ins Spiel, sie, diejenige, die alles zusammenhält, die uns Menschen seit Jahrhunderten antreibt, lenkt und leitet, sich ständig wandelt aber immer präsent bleibt, ganz gleich unter welchen Umständen und in welcher Form. Die Geschichte. Sie ist die Hilfestellung, die es schaffen muss, dich in deiner ganz persönlichen Entspannungsbuchmeditation zu halten. Sie ist diejenige, die dich fesselt, in die Irre führt, Geheimnisse vor dir verbirgt, dich die Haare raufend und manchmal sogar atemlos zurücklässt.


Deswegen kann ich dir nur sagen: Sei wählerisch, aber treffe eine Wahl! Gib dieser Idee eine Chance, probiere es aus, auch wenn das letzte Mal schon lange her ist. Und wenn dich ein Buch nicht gefangen hält, dann lege es weg, nimm ein anderes, eines mit weniger Seiten, eines mit mehr, eines von unbekannten Autoren oder eines von den Allerbekanntesten, die Klassiker oder die verpönten Groschenromane, eines von meinen oder eines von jedem anderen dort draußen, es ist vollkommen egal. Die Geschichte ist für dich, nur für dich.

Denn ich glaube daran, dass es dein Leben verändern kann, das Lesen… auch wenn ich lange Zeit selbst nicht viel damit anfangen konnte.

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